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30.05.2017, 14:48 Uhr | Deutscher Bundestag/eb/30.05.2017
Experten-Einschätzungen zur Vergangenheitsarbeit für dauerhaften Frieden
Welchen strategischen Rahmen braucht Vergangenheitsarbeit, um zu einem dauerhaften Frieden beizutragen?
Welchen strategischen Rahmen braucht Vergangenheitsarbeit, um zu einem dauerhaften Frieden beizutragen? Darüber sprachen Abgeordnete mit drei Sachverständigen in einer öffentlichen Ausschussberatung des Unterausschusses Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln unter Vorsitz von Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) am Montag, 29. Mai 2017. Die Vorsitzende betonte in ihren Eröffnungsworten, wie wichtig die Aufarbeitung vergangener Konflikte für das Ziel einer nachhaltigen Friedenssicherung sei.

Dr. Susanne Buckley-Zistel vom Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg sprach vom Imperativ, zu dem die Vergangenheitsarbeit mittlerweile geworden sei. So würden beispielsweise Einrichtungen wie der Internationale Strafgerichtshof dafür sorgen, dass zumindest eine juristische Aufarbeitung von Konflikten geradezu unausweichlich sei.

Buckley-Zistel verwies aber auch auf den gesellschaftlichen Blick auf die Vergangenheitsarbeit, den mit der Forschung zu dem Thema primär einnehme. Hierunter fällt die Betrachtung der Konfliktaufarbeitung aus verschiedenen Perspektiven wie beispielsweise der Sicht der Täter oder der Opfer, oder aber auch aus der Sicht von Frauen beziehungsweise Männern. Eine banale aber umso zutreffendere Feststellung ist laut Buckley-Zistel der Umstand, dass Vergangenheitsarbeit eine sehr komplexe Materie sei. Es brauche einen langen Atem für die Prozesse, die nötig seien, um die gesellschaftliche Situation nach einem Konflikt zu entwirren.

Voraussetzung für neuen Gesellschaftsvertrag

Für Natascha Zupan von der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) geht es bei derVergangenheitsarbeit darum, die Voraussetzungen für einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schaffen. Langwierige Bürgerkriege bis hin zum Genozid, sich ausbreitende und anhaltende Armut, Konflikte im Zusammenhang mit Ressourcenausbeutung – mit den zunehmenden Ursachen von gewaltsamen Konflikten seien auch die Dimensionen der Vergangenheitsarbeit größer geworden, so Zupan weiter.

Für sie sind deshalb auch politikfeldübergreifende Strategien für die Aufarbeitung von Konflikten nötig. Entsprechende Leitlinien der Bundesregierung, so denn noch welche aufgestellt würden, sollten das berücksichtigen. Starre Blaupausen für die Konfliktaufarbeitung hält Zupan nicht für sinnvoll.

Betrachtung des Einzelfalls wichtiger als starre Konzepte

Dr. Karsten Dümmel von der Konrad-Adenauer-Stiftung bestätigte die Ansicht, dass theoretische Konzepte ohne Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls wenig hilfreich sind. Als Leiter des Auslandsbüros Bosnien und Herzegowina könne er beispielsweise sagen, dass die Arbeit mit Veteranen lagerübergreifend auf dortige Konfliktparteien sehr authentisch wirke und die ehemaligen Gegner eher zum Zugehen aufeinander bewege als andere Strategien der Vergangenheitsarbeit.

Alle Sachverständigen betonten den Wert von Vertrauen der Konfliktparteien sowohl untereinander als auch in externe Prozesse und Akteure. Auf die Frage, wie Vertrauen nachhaltig unter vormals und auch aktuell sich misstrauenden Konfliktparteien geschaffen werde könne, führte Natascha Zupan lokale Nähe, Reformprozesse in staatlichen Institutionen und das Einbringen von eigenen Erfahrungen ins Feld. Die Aufarbeitung müsse lokalisiert werden, Tribunale in Tausenden Kilometern Entfernung würden auf wenig Akzeptanz stoßen.

Vergangenheitsarbeit muss auch mal ruhen können

Befragt nach den Schwerpunkten, die die Bundesregierung bei der Ausarbeitung von Leitlinien zur Vergangenheitsarbeit setzen sollte, empfahl Karsten Dümmel ein am jeweiligen Land oder Gebiet ausgerichtetes differenziertes Arbeiten. Dazu gehöre auch, dass man von den jeweiligen staatlichen Akteuren „die Finger lasse“, wenn es nicht anders gehe.

Susanne Buckley-Zistel pflichtete ihm bei und unterstrich, dass Vergangenheitsarbeit auch mal ruhen können muss, wenn man zu der Erkenntnis gelange, dass sie nicht das Richtige hier und jetzt sei. (Deutscher Bundestag/eb/30.05.2017)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel, Zentrum für Konfliktforschung, Philipps-Universität Marburg
  • Dr. Karsten Dümmel, Konrad-Adenauer-Stiftung
  • Natascha Zupan, Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt)

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