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13.11.2014, 18:00 Uhr | CDU/CSU Bundestagsfraktion
„Wir lassen Euch im Sterben nicht allein“
Bundestag debattiert Verbot der organisierten Sterbehilfe

Sterben in Würde, ein Lebensende ohne Schmerzen, die letzten Tage zu Hause im Kreis der Angehörigen – das ist der Wunsch der meisten, wenn nicht gar aller Menschen. Um die Verwirklichung dieses Wunsches zu ermöglichen, will die Koalition die Palliativmedizin und das Hospizwesen flächendeckend ausbauen. Gleichzeitig zeichnet sich eine Mehrheit im Bundestag für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe ab. In einer ersten Orientierungsdebatte tauschten Abgeordnete aller Fraktionen am Donnerstag vier Stunden lang Argumente und persönliche Erfahrungen aus.

Das Kreuz im Fraktionssaal der CDU/CSU

Die Atmosphäre war ernst und respektvoll, in der die Abgeordneten debattierten. Viele nahmen tiefschürfende persönliche Erlebnisse mit kranken und sterbenden Angehörigen zum Anlass ihrer Rede. Über die Notwendigkeit eines Ausbaus der Palliativmedizin und des Hospizwesens waren sich praktisch alle einig. Dieser relativ junge medizinische Zweig hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. „Wir wissen, niemand mehr muss mit nicht auszuhaltenden Schmerzen sterben“, sagte der CDU-Abgeordnete Michael Brand.

Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder zeigte sich dankbar dafür, dass sich eine Mehrheit für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe abzeichnete. Denn die Entwicklung der vergangenen Jahre, das Aufkommen von Sterbehilfevereinen, die Sterbewilligen je nach Zahlkraft die „Leistung Tod“ unterschiedlich rasch in Aussicht stellten, sei eine „Perversion“: „Was das mit Humanität zu tun hat, hat sich mir nie erschlossen“, sagte Kauder.

Kein Geschäft mit dem Tod

Die Antwort auf die Angst der Menschen vor dem Sterben muss Kauder zufolge lauten: „Wir lassen Euch im Sterben nicht allein, sondern wir werden alles dafür tun, dass Ihr begleitet werdet.“ Auch Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer betonte: „Dass der Tod in Zusammenhang mit einem Geschäft gebracht wird, sollten wir nicht zulassen.“ Diese Auffassung wurde auch von weiten Teilen der SPD und den Grünen mitgetragen.

In der Frage, in wie weit ein ärztlich assistierter Suizid erlaubt sein solle, gingen die Meinungen im Bundestag auseinander. Gegen die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung sprach sich Michael Brand aus: „Wir wollen nicht, dass sich eine Tür öffnet, durch die Menschen gehen oder gar durchgeschoben werden“, sagte er. Die Erfahrung in den Nachbarländern Belgien und Holland habe gezeigt, dass das Angebot Nachfrage schaffe.  Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Franz Josef Jung betrachtete es als Verfassungsgebot, das menschliche Leben vom Anfang bis zum Ende zu schützen. Wenn man den ärztlich assistierten Suizid zur Behandlungsoption mache, ende man bei der Tötung auf Verlangen.

„Sterbewunsch ist oft Hilferuf“

Auch Hubert Hüppe warnte vor einem Dammbruch. Er werde zwar „nicht von heute auf morgen kommen, aber andere Länder haben gezeigt, wenn man einmal diesen Damm bricht, wird es immer größere Löcher geben.“ Die Menschlichkeit einer Gesellschaft erweise sich darin, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgehe – mit Kranken und Behinderten. Die CDU-Abgeordnete Claudia Lücking-Michel sagte: „Jeder stirbt am Ende für sich selbst. Es ist aber eine Frage an die Gesellschaft, was sie tut, um Sterbebegleitung und Schutz für jeden von uns möglich zu machen.“ Oft genug sei der Wunsch nach Sterbehilfe auch ein Hilferuf, sagte die CSU-Abgeordnete Emmi Zeulner.

Sie wie auch zahlreiche andere Redner erinnerten daran, dass ärztliche Hilfe beim Suizid nicht mit dem hippokratischen Eid in Einklang stehe, der Ärzten gebietet, das Leben der Menschen zu schützen. Franz Josef Jung verwies darauf, dass indirekte und passive Sterbehilfe – also der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen und der Einsatz von Schmerzmitteln, auch wenn sie das Eintreten des Todes beschleunigen – erlaubt sei. Gegebenenfalls sei eine Änderung des Betäubungsmittel- und des Arzneimittelgesetzes in Betracht zu ziehen. „Ein Zwang zum Leid besteht gerade nicht“, betonte er.

Der Mehrheit eine Stimme geben

Eine andere Auffassung vertraten unter anderem Peter Hintze und Katherina Reiche. So machte Bundestagsvizepräsident Hintze darauf aufmerksam, dass die Palliativmedizin durchaus manchmal an ihre Grenzen stoße. „Es ist unvereinbar mit der Menschenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zur Qual würde“, sagte er. Wenn ein Mensch todkrank sei, gehe es nicht um das Ob des Sterbens, sondern um das Wie. Und deshalb müsse es den Ärzten erlaubt werden, dem Wunsch eines solchen Patienten nach Sterbehilfe zu folgen, wenn er es für richtig halte. „Das will auch die Mehrheit der Bevölkerung. Der Bundestag sollte dieser Mehrheit eine Stimme geben.“

Auch Reiche sprach sich gegen eine staatliche Bevormundung in dieser Frage aus. „Was Menschen am Ende noch ertragen können, ist absolut individuell.“ Bei einer Unheilbarkeitsprognose sollten Ärzte in der Verantwortung bleiben dürfen. „Wenn sich Patient und Arzt auf diesen geschützten Freiraum verlassen können, würde das Sterbehilfeorganisationen auf absehbare Zeit überflüssig machen.“

„Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schützen“

Auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ging auch Volker Kauder ein. Er sprach sich dafür aus, „dieses Vertrauensverhältnis nicht durch gesetzliche Regelungen zu stören, sondern dies dem ärztlichen Standesrecht zu überlassen.“

Auf dem Bundesärztetag in Kiel 2011 hatten die Ärzte ein generelles Verbot beschlossen, Hilfe zum Freitod zu leisten. Ob Ärzte bei einem Verstoß ihre Approbation verlieren, ist von Bundesland zu Bundesland jedoch anders geregelt.

Das Gesetzgebungsverfahren des Bundestags zum Verbot der organisierten Sterbehilfe soll bis Mitte nächsten Jahres abgeschlossen werden. Noch sind die Abgeordneten in der Phase, sich zu Gruppen zusammenzufinden und Anträge zu formulieren. Die Entscheidung soll – wie bei anderen ethischen Themen zuvor auch – nicht entlang der Fraktionslinien fallen. Allein das Gewissen entscheidet über das Abstimmungsverhalten. Im Frühjahr nächsten Jahres soll eine große Anhörung im Plenum stattfinden.

Versorgungslücken im Hospizwesen schließen

Bislang liegen zwei Positionspapiere vor: zum einen das der Abgeordneten Michael Brand, Michael Frieser und Claudia Lücking-Michel aus der CDU/CSU-Fraktion, zum anderen das einer Gruppe von Abgeordneten, zu denen von Seiten der Unionsfraktion Peter Hintze, Dagmar Wöhrl und Katherina Reiche gehören.

Die Würde des Menschen - auch am Lebensende - ist der Tenor, der beiden Positionen gemeinsam ist. Das bedeutet die bestmögliche medizinische und menschliche Begleitung bis zum letzten Moment, die Linderung von Schmerzen, Übelkeit oder Atemnot.

Einen Vorstoß für den Ausbau der Palliativmedizin und des Hospizwesens hatten in dieser Woche die Abgeordneten Jens Spahn und Emmi Zeulner gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und der Parlamentarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz gemacht. Sie hatten sich dafür ausgesprochen, die „weißen Flecken“ in der Versorgungslandschaft – vor allem im ländlichen Raum – zu beseitigen. Beispielsweise soll die finanzielle Ausstattung von Hospizen verbessert werden. Über die Angebote, die es bereits gibt, sollen schwerkranke Patienten besser beraten werden. Zudem sollen Pflegefachkräfte für die Versorgung schwerstkranker, sterbender Menschen geschult werden.

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